Live-Online-Seminare müssen nicht müde machen oder zum Weglaufen sein. Erfahrungsbericht über die Durchführung eines 5-tägigen Bildungsurlaubs als Live-Online-Seminar während der Corona-Pandemie.
Ich wollte es vorher auch nicht glauben. Noch bis Anfang diesen Jahres hatte ich immer gesagt: "Nein, meine Seminar-Themen (zur psychosozialen Gesundheitsförderung) funktionieren nur im persönlichen Miteinander, d. h. in Präsenz-Veranstaltungen. Burnout-Prävention, Resilienz-Training & Co. ganztägig online? Das geht gar nicht!"
Erweiterung meiner Veränderungskompetenz dank der Corona-Pandemie
Aus heutiger Sicht hat mich die Corona-Pandemie eines Besseren belehrt und nebenbei konnte ich zudem auch gleich meine Veränderungskompetenz oder anders gesagt, meine Resilienz weiterentwickeln. Denn ich hatte mich zuvor noch nicht wirklich für die digitalen Möglichkeiten zur Anwendung in meiner Arbeit geöffnet. Sozusagen unsanft angestoßen durch den Lockdown im Frühjahr 2020, begann ich mich gezielt mit digitalen Lösungen für Weiterbildungsveranstaltungen vertraut zu machen. Dabei bin ich aus meiner Komfortzone getreten, wagte mich aus meiner vertrauten Welt heraus, doch mit der Erweiterung meines Wissens stieg auch meine Experimentierbereitschaft. Und siehe da: Mut und Mühe wurden belohnt! Heute sage ich daher, dass meine Seminar-Themen sehr gut auch in Online-Veranstaltungen vermittelt werden können. Ein paar Voraussetzungen sind dafür sicherlich zu erfüllen. Welche ich nach meiner Erfahrung wichtig finde, lesen Sie weiter unten.
Praxis-Beispiel: 5 Tage Bildungsurlaub live-online
Eigentlich hätte ich vom 16. bis 20.11.2020 im Auftrag von LIW e.V. den Bildungsurlaub wieder auf einer der Nordsee-Inseln durchgeführt, diesen Herbst war Borkum geplant gewesen. Bereits seit einigen Jahren haben sich die nordfriesischen Inseln besonders zur Durchführung meines Themas "Burnout - erkennen, verstehen, vorbeugen" (Bildungsurlaub im Themenfeld Berufliche Kompetenz) als Seminar-Ort bewährt. Doch, Sie wissen es selbst, dann kamen erneute Einschränkungen durch Corona, und der Seminar-Ort fiel Anfang November weg. Somit drohte jetzt schon der zweite Termin dieser Veranstaltungsart in diesem Jahr wegen Corona zu entfallen. Kurzer Hand wurde daher beschlossen, diesen Bildungsurlaub als Live-Online-Seminar anzubieten und zu schauen, was passiert. Und siehe da: Tatsächlich ergaben sich sechs Anmeldungen von Personen, die bereit waren sich darauf einzulassen. (Hinweis zum Bild oben: Ein Schnappschuß aus der Mittagspause, dadurch sind die Video-Bilder der Teilnehmenden ausgeblendet, nur mein Standbild ist zu erkennen. Ganz links auf dem Bildschirm ist ein Youtube-Video von der Nordsee zu sehen, mit sanftem Wellengang, um ein wenig Insel-Stimmung ins Seminar zu holen.)
Meine Vorgehensweise und die wichtigsten Bestandteile bei diesem Live-Online-Seminar
Zum Glück hatte ich in den letzten Monaten bereits einige Erfahrungen mit eintägigen Seminaren zu unterschiedlichen Themen im Live-Online-Format gesammelt, die aufgrund von Corona nicht in Präsenz durchgeführt werden konnten. Doch 5 Tage am Stück - davor hatte ich Respekt! Nachfolgend nenne ich die wesentlichen Aspekte, die aus meiner Sicht wichtig für den Erfolg dieser Woche gewesen sind:
- Generelle Bereitschaft, Offenheit und aktive Beteiligung der Teilnehmenden. Einige waren zu Beginn sehr skeptisch gewesen, wie sich nachher herausstellte. Aber ich kann berichten, dass am Ende alle höchst positiv überrascht und begeistert gewesen sind.
- Ungestörter Arbeitsplatz ohne Ablenkungen. Durch den Bildungsurlaub nahmen alle Teilnehmenden von zu Hause aus teil. Einige waren schon seit längerer Zeit im Home-Office und entsprechend eingerichtet. Eine Teilnehmerin war in diesen Tagen bei ihrer Tochter zu Besuch, von der sie bekocht wurde. Gute Voraussetzungen zum Wohlfühlen, gute Lernbedingungen!
- Ausreichende technische Ausstattung: Stabile Internet-Leitung, PC oder Laptop, Web-Cam, Lautsprecher-Boxen oder Headset, ggfs. zusätzlich ein Handy. Wenn am PC nicht alles funktioniert, kann das Handy zusätzlich zur Bild- oder Tonübertragung genutzt werden, wie in einem Fall praktiziert.
- Teilnahme von allen mit Video-Bild: Es ist sehr wichtig, dass sich alle sehen können, wenn man interaktiv miteinander arbeitet. Insbesondere, wenn es um so sensible Themen geht, wie bei diesem Seminar. Über das Video werden Gestik und Mimik sichtbar, die einen großen Teil der menschlichen Kommunikation ausmachen. Das schafft Vertrauen und als Trainerin sehe ich, wie es meinen Teilnehmer*innen geht.
- Alle Video-Bilder werden gleichzeitig angezeigt: Das ist noch nicht bei allen Video-Konferenz-Tools selbstverständlich, manche können nur die Sprecher*in und ein paar Teilnehmende anzeigen. Daher nutze ich gerne Zoom, bei dem immer alle Video-Bilder zu sehen sind. Dennoch sollte die Teilnehmer*innen-Zahl im Rahmen bleiben, d. h. nicht mehr als 12 Personen.
- Breakout-Session: Diese technische Funktion für Gruppen-Arbeiten sollte unbedingt gegeben sein (z. B. bei Zoom). Sie sorgt für Abwechslung und in Klein-Gruppen-Arbeit entsteht eine persönlich nähere Kommunikation, die auch mehr individuellen Austausch ermöglicht. Dies ist für ganz viele Menschen wichtig und wertvoll - in Präsenz- wie in Online-Seminaren.
- Methoden-Mix zur Visualisierung und Themen-Erarbeitung. Folgendes hatte ich eingesetzt:
- Powerpoint (nur einige Seiten zu Beginn), ein kurzes Video, einen Podcast, kurze Musikeinblendung, einige Arbeitsblätter (pdf),
- Vortrag/Theorie-Input, Einzelübungen, Team- und Gruppenarbeiten mit Teilnehmer*innen-Wechsel, Ergebnis-Präsentationen und gemeinsamer Austausch im "Plenum", Kollegiale Beratung,
- Virtueller Arbeitsplatz (Conceptboard.com): Einsatz einer digitalen Arbeitsplattform, auf der alle Teilnehmenden (per Link mit einem Gast-Zugang, parallel zum Video-Konferenz-Tool) synchron Gesprächsinhalte visualisieren (mit Text oder Zeichnen-Funktion) konnten. Diese Online-Plattform hatte ich mit ansprechenden Bildern und mit Textenfeldern, z. B. Fragen und Aufgabenstellungen, abschnittsweise vorbereitet. Hier waren wir im Seminar überwiegend aktiv und es entstand eine bunte "Landschaft", ähnlich wie an Flipchart und Pinwand im Präsenz-Seminar. Die Ergebnisse konnten nach dem Seminar als Fotoprotokoll per Email versandt werden. - Aktivierende und entspannende Übungen zwischendurch: Von kleinen Gymnastik- und Atemübungen am Schreibtisch, über Augentraining, Gedankenreisen, bis hin zu Übungen und Spielen, die die Gehirn-Aktivitäten anregen. Letztere helfen u. a. auch, die Stimmung aufzulockern und für eine angenehme Lernatmosphäre zu sorgen.
- Zeit für kleine Plaudereien und ungeplante Mini-Pausen zwischendurch: Auch das war wichtig. In Online-Seminaren fehlt die Möglichkeit, sich am Rande der Veranstaltung oder in der Pause miteinander zu unterhalten und sich näher kennenzulernen oder zu entspannen. Wenn es offensichtlichen Bedarf gab, sich über angrenzende bzw. andere Themen auszutauschen, sich einen Kaffee zu holen oder mal eine Bewegungspause nötig war, gab ich die Möglichkeit dazu.
Mein Fazit zu Live-Online-Seminaren
Dieses Burnout-Präventionsseminar als Bildungsurlaub ist vermutlich ein Extrem-Beispiel im Bereich Live-Online-Seminare (normalerweise führe auch ich Seminare an einem Tag, am liebsten aber an zwei Tagen durch). Aber es zeigte, dass es funktionieren kann. Es war jedenfalls von allen Teilnehmer*innen in allen Punkten im Feedback-Bogen mit "sehr gut" bewertet worden und alle empfehlen es weiter. Ich denke, dass lässt sich als "erfolgreich" bewerten.
Es konnten alle Themen-Inhalte, wie im Präsenz-Seminar, behandelt werden und auch meine Vorgehensweisen und Arbeitsmethoden aus den Präsenz-Veranstaltungen konnte ich besser als gedacht einbringen. Dadurch war es keine trockene und eintönige Maßnahme, bei der man mit dem Einschlafen kämpfen muss.
Wichtig war mir noch als Trainerin darauf zu achten, dass sich alle Teilnehmenden aktiv einbringen konnten und sich auch die stilleren wahrgenommen und abgeholt fühlten. Ich erlebe immer wieder, dass die Kommunikation untereinander und der Erfahrungsaustausch miteinander sowie das daraus entstehende Gemeinschaftsgefühl für die Teilnehmenden einen ganz bededeutsamen Teil meiner Seminare ausmacht. Besonders in diesen Zeiten, wo der Kontakt ungewohnt eingeschränkt ist, können interaktive Online-Fortbildungen einen großen Beitrag leisten, um Mitarbeitende zu untertützen und gesund zu erhalten.
Mein Fazit daraus ist, dass es sich lohnt neue Vorgehensweisen auszuprobieren und seine bisherige Vorlieben und Vorstellungen zu überprüfen und ggfs. aufzugeben. Wenn wir offen für Neues sind und die Veränderungen annehmen, die passieren, können wir persönlich wachsen. Erst dann können wir sehen, was noch alles möglich ist.
Ich freue mich auf mehr! :)
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